Umwelt, soziale Verantwortung und eine verantwortungsvolle Unternehmensführung – kurz ESG – sind für Unternehmen heute relevanter denn je. Neue gesetzliche Vorgaben wie das Lieferkettengesetz und die CSRD-Richtlinien (Corporate Sustainability Reporting Directive) zwingen Unternehmen zunehmend zum Handeln und zur Berichterstattung. Für viele Betriebe, besonders im Mittelstand, stellt die Einhaltung dieser Regelwerke jedoch eine Herausforderung dar. Peggy Wenzel ist Auditorin sowie Gründerin und Inhaberin von GreenAhead Consulting. In diesem Interview erklärt sie, warum Unternehmen sich spätestens jetzt mit ESG auseinandersetzen sollten, um ihre Rechtskonformität zu gewährleisten und aktiv Verantwortung zu übernehmen. Dabei zeigt sie auf, welche Risiken Unternehmen eingehen, wenn sie ESG-Kriterien vernachlässigen, und welche konkreten Schritte notwendig sind, um rechtskonform zu bleiben.

Die CSRD-Richtlinien verändern die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung gestalten müssen. Zusammen mit weiteren gesetzgeberischen Änderungen wie dem Lieferkettengesetz haben sie einen großen Einfluss auf Unternehmen und deren ESG-Strategien. Kennen Sie schon unser Whitepaper zum Umweltmanagement? Laden Sie es jetzt herunter und erfahren Sie, wie Sie Nachhaltigkeit erfolgreich ins Unternehmen integrieren können.

Neun Würfel mit Symbolen, die Aspekte von ESG darstellen

Warum Unternehmen die CSRD-Richtlinien jetzt ernst nehmen müssen

Peggy Wenzel: Die meisten Unternehmen, die sich schon länger mit ESG-Kriterien beschäftigt haben, taten das als Selbstverpflichtung. Doch von der Vorstellung, dass es nur darum geht, müssen wir uns verabschieden. Derzeit entstehen Regularien für ganz Europa. Es gibt bereits jetzt diverse, europaweit geltende Verordnungen. Diese wurden zum Teil schon in nationale Gesetzgebungen überführt; und das wird Schritt für Schritt weitergehen. Einerseits werden die Anforderungen, die der rechtliche Rahmen in puncto ESG-Kriterien setzt, weiter steigen. Zum anderen steigt auch die Verbindlichkeit.

Das, was im Zuge des europäischen Green Deals aufgesetzt wurde und noch aufgesetzt wird, verpflichtet die Unternehmen, sich mit den ESG-Kriterien zu beschäftigen. Tun sie dies nicht, laufen sie Gefahr, ab einem bestimmten Punkt nicht mehr rechtskonform zu sein.

Peggy Wenzel: Das lässt sich gut am Lieferkettengesetz zeigen, das ja zahlreiche rechtliche Anforderungen im Bereich ESG vorgibt. Für dieses Gesetz wurde jetzt der Schwellenwert abgesenkt – von Unternehmen mit 3.000 Mitarbeitenden auf solche mit 1.000. Habe ich beispielsweise 1.800 Mitarbeiter, darf ich diese Änderung nicht verpassen. Mir muss klar sein, dass ich jetzt, also für 2024, in 2025 dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) erstmals Bericht erstatten muss. Geht mein Geschäftsjahr vom 1. Januar bis zum 31. Dezember, muss ich den Bericht bis zum 30.4.2025 abgeben; andernfalls bin ich nicht mehr rechtskonform.

Peggy Wenzel: Das kann man nur empfehlen, denn die Schwellenwerte, die sich insbesondere an der Mitarbeiterzahl orientieren, werden in den nächsten Jahren immer weiter abgesenkt. Und fehlende Rechtskonformität kann gerade beim Lieferkettengesetz zu sehr hohen Strafen führen.

Ein anderes Beispiel wäre die Berichterstattung für den Bereich Nachhaltigkeit – also anhand der CSRD-Richtlinien. Für diese liegt der Schwellenwert irgendwann bei 250 Mitarbeitern – also an der Grenze, ab der man nicht mehr als Klein- und mittelständisches Unternehmen gilt. Auch diese Unternehmen müssen dann über ihre Nachhaltigkeit berichten. Weiß ein Unternehmen das nicht und wird nicht aktiv, läuft es Gefahr, außerhalb des gesetzlichen Rahmens zu agieren.

Worst-Case-Szenario: Welche Folgen drohen bei Missachtung von CSRD-Richtlinien?

Peggy Wenzel: Es könnte von Geschäftspraktiken profitieren, die völlig inakzeptabel sind – und das, ohne es selbst zu wissen. Im Rahmen der Risikoanalyse empfehle ich Unternehmen etwa, nach ihren wichtigsten fünf bis zehn Lieferanten zu schauen. Deren Überprüfung sollte Teil der Risikoanalyse sein. Und mindestens bei den Top-5-Lieferanten sollte man vor Ort verifizieren. Verlasse ich mich hingegen auf das, was mir ein Lieferant von sich aus einreicht, weiß ich längst nicht, was bei ihm vor Ort stattfindet.

Ebenso ist es zwar schön, wenn ich als Unternehmen einen Code of Conduct habe, den auch meine Lieferanten unterschreiben. Doch das heißt nicht, dass ein Lieferant meinen Code einhält. Er könnte trotzdem Menschenrechte verletzen oder Umweltstraftaten begehen. Feststellen werde ich das jedoch nur, wenn ich vor Ort bin, mit dem Betriebsrat, Produktionsmitarbeitern oder unterschiedlichen Abteilungen spreche usw. Ich brauche wirkliche Einblicke, einen repräsentativen Querschnitt. Und der muss sich in den Unterlagen widerspiegeln, die ein Lieferant einreicht. Nur so kann ich ein vollständiges Bild erhalten. – Ich rate dringend davon ab, die Einstufung eines Lieferanten nur anhand der Unterlagen vorzunehmen, die er selbst vorlegt; insbesondere dann, wenn hohe Risiken bestehen.

Peggy Wenzel: Das wäre eine von zahlreichen Möglichkeiten. Da gibt es weltweite Indices, an denen ich mich orientieren kann – etwa für Kinderarbeit oder Modern Slavery. Hohe Risiken bestehen aber auch für spezielle Branchen, für Textilien, Konfliktmineralien. Oder denken wir an Lithium. Das wird häufig unter schlechten Arbeitsbedingungen gefördert, etwa in afrikanischen Ländern, in denen gleichfalls das Risiko von Kinderarbeit besteht.

Auch für solche Branchen gibt es Indices, die weltweit anerkannt sind und die mir erste Anhaltspunkte für eine Risikoeinstufung geben. Besteht ein hohes Risiko, sollte ich auf jeden Fall vor Ort sein – idealerweise mit einem Länder-Experten.

Peggy Wenzel: Nein. Beim Lieferkettengesetz geht es vor allem darum, dass Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht für die Lieferkette gerecht werden. Diese Pflicht habe ich für meine Geschäftstätigkeit, ebenso für meine Lieferanten.

Besteht der Verdacht, dass ein Lieferant gegen Auflagen verstößt, bekomme ich beispielsweise Hinweise über einen Whistleblower-Kanal, dann muss ich aktiv werden. Das muss ich sogar, wenn solche Hinweise nicht meinen direkten Lieferanten, sondern dessen Zulieferer betreffen. Ich muss jedem Verdacht nachgehen, um meine Sorgfaltspflicht nicht zu verletzen.

Einhaltung der CSRD-Richtlinien – Eine Notwendigkeit für den Unternehmenserfolg

Das Gespräch mit Peggy Wenzel verdeutlicht, wie umfassend und anspruchsvoll das Thema ESG für Unternehmen geworden ist. Die rechtlichen Anforderungen steigen kontinuierlich, und ein Mangel an proaktiver Auseinandersetzung mit ESG-Kriterien kann für Unternehmen schwerwiegende Folgen haben – von hohen Strafen bis hin zu einer ernsthaften Schädigung der Unternehmensreputation. Frau Wenzel zeigt, dass es weit über die Einhaltung von Vorschriften hinausgeht: Wer ESG ernst nimmt, erkennt darin eine Chance, die eigene Geschäftspraxis kritisch zu hinterfragen und langfristig nachhaltiger und verantwortungsvoller zu gestalten. Die Auseinandersetzung mit ESG ist für viele Unternehmen kein „Nice-to-have“ mehr, sondern eine grundlegende Pflicht – und kann zugleich ein entscheidender Faktor für den zukünftigen Unternehmenserfolg sein.

Neun Würfel mit Symbolen, die Aspekte von ESG darstellen

Weiterführende Infos:

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (o. J.): Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Online verfügbar unter https://www.csr-in-deutschland.de/DE/CSR-Allgemein/CSR-Politik/CSR-in-der-EU/Corporate-Sustainability-Reporting-Directive/corporate-sustainability-reporting-directive-art.html (Abgerufen am 25.11.2024).

Der Einfachheit und besseren Lesbarkeit halber wird im Text das generische Maskulinum verwendet – gemeint sind damit immer alle Geschlechter.

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